Es ist so schön gleich nebenan
Von W. Christian Schmitt

Zwischen 1950 und 1975 gab es die legendäre Veranstaltungs-Reihe „Darmstädter Gespräche“. Dabei ging es, verkürzt gesagt, darum, in öffentlichen Diskussionen kulturinteressierten Bürgern über den Tag hinaus relevante Themen wie Probleme näher zu bringen. Darum soll es auch bei den „Darmstädter Tischgesprächen“ gehen, bei denen jene zu Wort kommen, die an unterschiedlichen Stellen ihren Beitrag für Erhalt wie Weiterentwicklung unserer Gesellschaft leisten. Diesmal ist der Journalist und Publizist W. Christian Schmitt zusammen mit Kameramann Werner Wabnitz zu Gast bei Judith Kautz, Inhaberin des Bessunger Buchladens.
Bücher kann, sollte, muß man durchaus zu den Lebens-Mitteln zählen. Denn sie berichten sehr oft „vom Leben“, sind für so manchen Zeitgenossen überlebens-wichtig. Sie informieren und unterhalten nicht nur, sie können zudem auch Lebenshilfe sein. Man denke nur an den Wunsch, auf eine einsame Insel zumindest sein Lieblingsbuch mitnehmen zu dürfen. Bücher lassen teilhaben an Erfahrungen Anderer. Bücher sind oft prallvoll von Erlebtem. Und: Buchhändler sind jene, die den Erwerb solcher Lesekost ermöglichen.
Judith Kautz ist eine Vertreterin dieser ganz besonderen Zunft, die sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel befindet – wie so vieles in dieser Republik und im Einzelhandel im besonderen. Deshalb haben wir uns mit ihr in ihrem Wohnzimmer verabredet, um aus erster Hand zu erfahren, wie heute „das Buch zum Leser“ gelangt, in Zeiten, in denen Amazon & Co. immer mehr die „Spielregeln“ zu bestimmen versuchen – und es dem stationären Buchhandel schwer machen zu überleben.
Mir direkt gegenüber sitzt Judith Kautz, die nach dem Abi „nicht so genau“ wußte, wie es weitergehen sollte und zunächst einmal Landschafts-Gärtnerin werden wollte. Aber nicht nur der Vater, ein angesehener Architekt, riet davon ab. So begann sie zu studieren, in Hamburg und in Frankfurt und dies letztlich abschließend mit Magister-Abschluß. Und was nun? Geld verdienen, war angesagt. Zunächst als Sekretärin „in einer Bauträger-Gesellschaft“. Und nebenbei ein Mini-Job, der sie dem, was sie heute macht, näher kommen ließ. Sie half bei Mechthild Steiger-Kühn, der damaligen Besitzerin des 1978 gegründeten Bessunger Buchladens aus und wurde auf diesem Wege zur Quereinsteigerin in Sachen Buchhandel. Viel später dann ergab es sich, dass sie (zum 1.1. 2019) den Buchladen von Eleonore und Alfred Hofmann übernehmen konnte und Chefin wurde (auch) über rund 4.000 Bücher, die sie heute ihren Kunden griffbereit anbieten kann.
Wir sind mitten im Gespräch, bei dem es um Sorgen, Nöte, aber auch Freuden geht. Um Kultur vor Ort, um das, was Darmstadt ausmacht, unterscheidet von anderen Städten. Es geht um die Rolle der Buchhandels gestern, heute und morgen in dieser liebenswerten Provinz-Hauptstadt, die so vieles vorzuweisen hat: Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, den alljährlichen Büchnerpreis, den Literarischen März, die Mathilden- und die Rosenhöhe, den Kellerklub und das Literaturhaus usw. usw.
Die einst tonangebenden Buchhandlungen in der City wie Schlapp, Megede, die Gutenberg- oder die Lichtenberg-Buchhandlung sowie etliche mehr, gibt es nicht mehr. Dafür die kleineren Läden, die sich in lockerer Form zusammengeschlossen haben, um die eine oder andere kulturelle Veranstaltung in Sachen Buch zu ermöglichen. Wie informiert man sich in Sachen Buch, frage ich Judith Kautz, „wenn Branchenblätter wie Buchreport oder Buchmarkt ihr Erscheinen einstellen mußten und das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, das in früheren Zeiten gar zweimal die Woche erschien, heute nur noch alle 14 Tage in die Buchhandlungen gelangt?“. Die in der Darmstädter Kulturszene stark vernetzte Buchhändlerin (früher war sie in der Darmstädter Literaturinitiative aktiv, heute ist sie Vorstandsmitglied im Kellerklub, und dies seit mehr als zehn Jahren) ist trotz vieler Widrigkeiten alles andere als pessimistisch: „Der Buchmarkt insgesamt ist zwar unübersichtlicher geworden, aber viele kleine, Nischen- und Stadtteil-Buchhandlungen haben gute Überlebenschancen“. Denn sie sind und bleiben nahe dran an den Wünschen ihrer Lese-Kunden.
Und dann sprechen wir natürlich auch noch über Bestseller-Listen und wie zunächst einmal die davon betroffenen Verlage damit umgehen. Judith Kautz hält nicht allzuviel von solcherlei „Verkaufshilfe“: „Ich bin die Erste, die solche Buchaufkleber entfernt – wenn sie denn nicht schon Teil des Buchcovers sind“. Kunden wollen beraten werden, sagt sie und verweist auf die Schwerpunkte in ihrem Buchladen, die vom Kinder- und Jugendbuch über Belletristik bis hin zu Krimis („die lese ich auch gerne“) und viele regionale Titel reicht.
Auf ihrer Website lesen wir schließlich noch: „In unserem kleinen, aber feinen Geschäft gibt es ein breit gefächertes Angebot… Die Stärke des Bessunger Buchladens ist die persönliche und individuelle Beratung. Er gilt als Treffpunkt für Jung und Alt im Stadtviertel…“. Genau so haben auch wir es empfunden: Klein, fein und gleich nebenan.
Zur Person
Judith Kautz (Jg. 1965) ist in Darmstadt geboren, machte Abitur 1984 am Schuldorf Bergstraße. Anschließend Anglistik-Studium in Hamburg und Frankfurt/Main; Abschluss mit Magister artium (Hauptfach Anglistik, Nebenfächer Amerikanistik und Kinder- und Jugendbuchforschung). Januar 2019 Übernahme des Bessunger Buchladens als Inhaberin.