Die Olympischen Spiele 2024 vereinen die Welt im Geist des fairen Wettbewerbs und der grenzenlosen Begeisterung inmitten von Krisen – eine Reportage von Alexander Götz
Als ich das letzte Mal nach Paris reiste, erwartete mich eine andere Stadt als jene, die ich diesen Sommer vorfand. Damals wollte ich meinen Kindern die Stadt der Liebe mit all ihren Sehenswürdigkeiten zeigen und buchte ein schönes Hotel unweit des Eiffelturms. Leider zeigte uns Paris seine hässliche Seite: Randalierende Gelbwesten machten einen Besuch des Arc de Triomphe, der Champs-Élysées und des Place de la Concorde unmöglich. Der Eiffelturm war aufgrund von Terrorgefahr nur durch Sicherheitskontrollen wie am Flughafen, inklusive Körperscanner, zugänglich. Wegen der Menschenmassen davor verzichteten wir auch auf diese Attraktion. Notre-Dame war zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht abgebrannt, doch tummelten sich davor Ratten von der Größe von Katzen. Die Metrostationen waren schmutzig und rochen nach Urin. „Was ist nur aus ‚meiner‘ Stadt geworden?“, dachte ich. Die Welt hatte sich verändert. Das war 2018.

In diesem Jahr besuchte ich Paris erneut mit meinen Kindern, diesmal zu den Olympischen Spielen. Und wieder dachte ich: Die Welt hat sich verändert – diesmal allerdings zum Positiven. Inmitten der vielen politischen und gesellschaftlichen Krisen weltweit bot die französische Hauptstadt für zwei Wochen eine Oase des Friedens, der Freude und der Völkerverständigung. Besucher aus aller Welt ließen sich bereitwillig vom Olympia-Fieber anstecken. Das Motto aller Touristen schien dem olympischen Gedanken zu entsprechen: Egal, ob man viel Geld hat und sich Tickets für Wettkämpfe leisten kann oder nur den Marathon am Straßenrand kostenlos verfolgt – dabei sein ist alles! Menschen verschiedenster Nationen schwenkten Fahnen, trugen Symbole ihrer Heimat und tauschten Fan-Utensilien. Jeden Abend versammelten sich Tausende vor dem Louvre, wenn bei Einbruch der Dunkelheit das olympische Feuer nebenan im Jardin des Tuileries mit einem Ballon in den Himmel aufstieg – ein wahrhaft magischer Moment. Wenn Paris es schafft, ein solches Klima der Freude und des Miteinanders zu kreieren, warum schaffen wir das nicht auf der ganzen Welt?

Fußball-Euphorie pur ohne Alkohol
Ein erstes Highlight unseres Trips sollte der Besuch des Fußball-Finales der Männer zwischen Frankreich und Spanien sein. An die Tickets kamen wir über einen Online-Anbieter, nicht über die offizielle Ticket-Website. Zunächst war ich misstrauisch gegenüber dem Portal, doch es erwies sich als sehr seriös. Tickets zu wirklich moderaten Preisen wurden direkt nach der Buchung vom ursprünglichen Besitzer transferiert. Das Portal fungiert wie eine Börse: Manche Wettbewerbe waren sehr gefragt und entsprechend teuer (Leichtathletik, Volleyball), doch es gab auch Schnäppchen (Handball, Wasserball) für weniger als 30 Euro pro Ticket, teilweise sogar unter dem offiziellen Preis.
Für mich war der Besuch eines weiteren Stadions auf meiner „Musst-du-besuchen“-Liste angesagt: Der Parc des Princes im an Paris angrenzenden Boulogne-Billancourt, Heimat des Pariser Clubs Saint Germain. Wir wohnten auf einem Boot auf der Seine, nicht weit vom Stadion entfernt, und machten uns per Fahrrad auf den Weg. Sofort fragte ich mich, ob Jochen Partsch hier einmal Bürgermeister war: Ein hervorragend ausgebautes Netz an Radwegen macht die Fortbewegung in Paris zu einem Kinderspiel. Dazu später mehr. An den Stadiontoren wurden wir kaum kontrolliert. Das war seltsam, da schon weit vor dem Stadion sowie generell in Paris martialisch Polizei und Militär aufgeboten waren. Nur ein leichtes Abtasten, das war’s. Vielleicht habe ich das Sicherheitskonzept nicht ganz durchschaut. Vor und im Stadion gibt es keinen Alkohol, es herrscht absolutes Rauchverbot. Die Stimmung war trotzdem super und erstaunlich friedlich. Kein ätzendes Gepöbel, kein dummes Anmachen, keine peinlichen Gesänge oder gar Schlägereien. Hier standen keine millionenschweren Profilneurotiker auf dem Platz, und trotzdem (oder gerade deswegen) herrschte stimmungsvolles (französisches) Liedgut vor dumpfem, eintönigem Dauer-Singsang. Am Ende gratulierten die Franzosen den Spaniern zur verdienten Goldmedaille. Die Iberer setzten sich in einem tollen Spiel mit 5:3 gegen Frankreich durch.
Der „Bois de Boulogne“ hat zwei Gesichter
Der Bois de Boulogne, der das Stadion von unserem Hausboot trennt, ist der größte Entspannungsort im Westen von Paris. Mit einer Fläche von 850 Hektar fungiert er als grüne Lunge der Hauptstadt und umfasst einige Parks und Gartenanlagen. Er bietet zahlreiche Fußgängeralleen, 28 Kilometer Reitwege und 15 Kilometer touristische Radwege. Nur abends verwandelt er sich in etwas Skurriles. Dann trifft man auf finstere Gestalten und zahlreiche Prostituierte. Also nahmen wir lieber ein Taxi zurück. Apropos Taxi: Schon immer war Taxifahren in Paris eine relativ günstige Alternative. Mit den Anbietern Bolt, Uber und Co. wurde es noch etwas günstiger. Es kann vorkommen, dass eine Taxifahrt für eine Familie günstiger ist als die Metro. Ich würde mich heute auf keinen Fall mehr freiwillig mit dem Auto in Paris fortbewegen, nur noch mit dem Fahrrad oder mit dem Taxi und nur noch bedingt mit der Metro.
Paris lebt grüne Mobilität vor
Am Samstag, dem vorletzten Tag der Spiele, besuchten wir – natürlich mit den Fahrrädern – die Pariser Innenstadt und schauten uns die zahlreichen Sehenswürdigkeiten an, an die oft auch eine Wettkampfarena angrenzte. Was für ein großartiges Gefühl, mit dem Rad die Avenue Foch hinauf zum Arc de Triomphe zu fahren! Ein Tagespass kostet 5 Euro für ein normales Fahrrad, 10 Euro für ein elektrisches. Alle 500 Meter gibt es Leihstationen. Die Radwege sind hervorragend ausgebaut und für eine Großstadt nicht sehr gefährlich. So sieht grüne Mobilität aus. Generell empfinde ich Deutschland immer öfter als rückständig im Vergleich zu anderen Ländern. Letztes Jahr durfte ich einige spanische Großstädte besuchen: Logroño, Burgos, Leon – in all diesen Städten herrschte buntes Treiben, die Innenstädte waren voller Leben. Kreative Geschäfte neben Ketten. Edles neben Ausgefallenem. Reiche neben weniger Reichen. Die Vielfalt in diesen Innenstädten und die freundliche Offenheit der Menschen haben mich beeindruckt. Busse oder Züge sind in Spanien meistens pünktlich und schnell. Ebenso in Frankreich. In Deutschland hingegen hüllt man lieber den Mantel des Schweigens über dieses Thema. Es gäbe noch viele dieser Themen zu besprechen, aber kehren wir besser zurück zu Olympia:

„Das ist schon krass, wenn du den Ball zum Aufschlag hochwirfst und plötzlich taucht da so ein Eiffelturm beim Hochschauen auf“
Die Wettkampfstätten sind grandios. Dabei wurden auch historische Gebäude in das Konzept integriert, wie etwa der Petit- und Grand Palais. Ein weiteres Highlight war das Eiffelturm-Stadion, in dem unter anderem die Beachvolleyball-Wettkämpfe stattfanden. „Das ist schon krass, wenn du den Ball zum Aufschlag hochwirfst und plötzlich taucht da so ein Eiffelturm beim Hochschauen auf“, witzelte später Nils Ehlers auf der Bühne der Deutschen Fan Zone. Zusammen mit seinem Partner Clemens Wickler holte das deutsche Duo Silber im Beachvolleyball-Wettbewerb.
Das Deutsche Haus 2024 als „Home of Team D“ im Stade Jean Bouin – und damit in direkter Nachbarschaft zum Prinzenpark sowie zum Stade Roland Garros gelegen – war der offizielle Treffpunkt von Team Deutschland in Paris. Dorthin verschlug es uns am Nachmittag. In der Fan Zone des Deutschen Hauses konnte man Sportarten wie Tischtennis, 3×3 Basketball, Bouldern und Skimboarding an Aktivstationen ausprobieren sowie die Wettkämpfe auf Leinwänden verfolgen. An der (Show-)Bühne durften wir dann auch die beiden Beachvolleyballer treffen. Für einen fairen Eintrittspreis von 40 Euro für drei Personen bekommt man tatsächlich nochmal ein besonderes olympisches Flair vermittelt. Ich musste dann aber doch sehr schmunzeln, als ich die gastronomische Auswahl sah: Frikadellen, Leberkäseweck, Kartoffelsalat und Weißbier – wie es sich für Deutschland gehört. Ganz im Ernst, das war eine nette kulinarische Abwechslung und eine schöne Reminiszenz an Zuhause.

Budget, Herkunft, Hautfarbe – alles egal. Dabei sein ist alles!
Am Sonntag stand der letzte Wettkampf für uns auf dem Programm: der Marathon der Frauen. Beim Stichwort Marathon hat sich Paris etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Schon am Vorabend findet auf der olympischen Marathonstrecke der „Marathon für alle“ statt. Alternativ ist auch ein Lauf über zehn Kilometer möglich (in diese Kategorie könnte ich bei mehr Disziplin fallen). Alle, die dort mitmachen, können zu olympischen Champions werden. Leider musste man sich für einen Startplatz schon sehr früh bewerben und per App einige Herausforderungen meistern, um überhaupt eine Chance zu haben. Natürlich waren alle Startplätze längst vergeben. Den 10-Kilometer-Lauf hätte ich spontan mitgemacht.

Am Sonntag ist die Stadt dann ein letztes Mal wie elektrisiert. Zehntausende Menschen stehen an der Marathonstrecke und warten auf die Läuferinnen. Es ist das Zusammentreffen vieler Faktoren, die bei mir Gänsehaut auslösen: dieses großartige Gemeinschaftsgefühl, das Anfeuern der Läuferinnen, Nationalstolz ja, Rassismus nein. Die auf Motorrädern vor den Läufern vorbeifahrende Polizei hupt und wird lautstark von den Zuschauern gefeiert. So etwas gibt es wohl nur bei Olympia. Die Athletinnen kommen, und jede einzelne wird lautstark angefeuert, so lange, bis auch die letzte Läuferin passiert hat. Dann löst sich die Menge auf und geht freudig dem Tag entgegen. Diese Spiele haben mich berührt und auch ein Stück verändert.
Wir brauchen Olympia dringender denn je
„Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern“, sagte bereits Nelson Mandela, und er hat bis heute recht. Wir sollten den Mut haben, auch nach den Olympischen Spielen zu greifen. Wir können organisieren, wir sind tolle Gastgeber – bei der Europameisterschaft und der WM 2006 haben wir es schon gezeigt. Frankreich war trotz aller Probleme im Land für die Zeit der Spiele international vereint, und ich bin mir sicher, dass dieser Effekt noch lange nachwirken wird. Vielleicht brauchen wir in Deutschland gerade deshalb Olympia dringender denn je.