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Forschungsprojekt widmet sich Sammlungen aus kolonialen Kontexten, insbesondere aus Ostafrika und Tansania
In deutschen Museen befinden sich bis heute zehntausende Objekte, die während der deutschen Kolonialzeit nach Europa gelangten. Häufig sind die Erwerbsumstände ungeklärt, viele Bestände blieben über Jahrzehnte unerforscht in den Depots. Das Hessische Landesmuseum Darmstadt (HLMD) widmet sich diesem Kapitel seiner Sammlung seit mehreren Jahren intensiv und erschließt nun im Rahmen eines Forschungsprojekts gezielt seine ethnologischen Bestände aus Ostafrika, insbesondere aus Tansania.
Die Ursprünge des Hessischen Landesmuseums Darmstadt reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Aus den Kunst- und Naturaliensammlungen der Landgrafen von Hessen-Darmstadt entwickelte sich eines der ältesten Universalmuseen Deutschlands, das schon früh öffentlich zugänglich war. Bis heute begeistert das Museum mit einem außergewöhnlich breiten Ausstellungsspektrum.
Ethnologische Sammlung lange kaum erforscht
Neben Kunst- und naturhistorischen Objekten umfasst die Sammlung des HLMD auch eine umfangreiche ethnologische Kollektion aus aller Welt, zusammengetragen von Forschern, Kolonialbeamten und Kaufleuten. Sie spiegelt den historischen Blick deutscher Reisender auf andere Kulturen wider.
„Die ethnologischen Sammlungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten nur selten in Ausstellungen berücksichtigt. Das lag vor allem daran, dass der wissenschaftliche Schwerpunkt unseres Hauses auf Kunst- und Naturgeschichte liegt. Umso erfreulicher ist es, dass wir seit 2022 mithilfe von Landesmitteln eine Ethnologin zur wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Bestände beschäftigen können“, erklärt Dr. Martin Faass, Direktor des HLMD.
Über 4000 Objekte systematisch erfasst
Die Ethnologin Dr. Sylvia Kasprycki übernahm die umfassende Sichtung der Objekte und der zugehörigen Archivalien. Über 4000 ethnologische Objekte – von amerikanischen und asiatischen Stücken des späten 18. Jahrhunderts bis zu umfangreichen Konvoluten aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten – wurden ausgepackt, identifiziert und dokumentiert.
„Die erste Bestandsaufnahme der lange unzugänglichen Sammlung war eine besondere Herausforderung. Oft war echte Detektivarbeit nötig. Der Aufwand hat sich jedoch gelohnt – die Wiederentdeckung dieser ethnografischen Schätze ist von großem wissenschaftlichem Wert“, so Kasprycki. Nun beginnt die nächste Phase der zielgerichteten Forschung in Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften.
Provenienzforschung als dauerhafte Aufgabe
Über die reine Erschließung hinaus verfolgt das Projekt ein klares gesellschaftliches Ziel. Hessens Wissenschafts- und Kulturminister Timon Gremmels betont die Bedeutung der Provenienzforschung:
„Es geht darum, die Geschichte unserer Kultureinrichtungen korrekt zu verstehen und transparent darzustellen. Dazu gehört auch, historisches Unrecht sichtbar zu machen und im Bewusstsein der Gesellschaft zu halten. Provenienzforschung ist deshalb eine dauerhafte Aufgabe – sowohl im Hinblick auf NS-verfolgungsbedingten Entzug als auch auf koloniale Kontexte.“
Gastwissenschaftler aus Tansania eingebunden
Seit August 2025 untersucht der in Tansania lebende Gastwissenschaftler Dr. Jan Küver gezielt die Bestände des HLMD aus Ostafrika. Finanziert wird seine Arbeit über die Koordinationsstelle zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten an hessischen Landeseinrichtungen.
„Die Sammlung in Darmstadt ist in Deutschland wenig bekannt. Umso größer war meine Freude über die Entdeckungen – eines der größten Konvolute stammt sogar aus Iringa, dem Ort, an dem ich in Tansania lebe“, so Küver.
Die enge Zusammenarbeit mit internationalen Wissenschaftlern und Herkunftsgesellschaften soll nicht nur zur Aufklärung der Erwerbskontexte beitragen, sondern Museen langfristig zu Orten des Dialogs, der Begegnung und des Austauschs machen.
(DARMSTADT – RED/PM/HLMD)
Beitragsbild: Figurale Darstellung des Häuptling Mkwawa, Tansania, Foto A. Ebert, HLMD