Offener Brief an Bundeskanzler Merz und Finanzminister Klingbeil warnt vor Erosion der Selbstverwaltung
Groß-Gerau. Mit einem eindringlichen Appell an Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat der Landrat des Kreises Groß-Gerau, Thomas Will (SPD), auf die aus seiner Sicht dramatische Finanzlage der Kommunen hingewiesen. In einem Schreiben, das der Kreis am Dienstag veröffentlichte, fordert Will eine grundlegende Wende in der kommunalen Finanzausstattung.
Der Brief des Landrats knüpft an ein gemeinsames Schreiben mehrerer Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister vom 28. Oktober an und wird laut Will „vollumfänglich unterstützt“. Gleichzeitig betont der Landrat, dass die strukturellen Finanzprobleme der Landkreise „noch tiefer gehen“.
„Kommunale Finanzen am Kipppunkt“
Will beschreibt in seinem Schreiben eine zunehmende finanzielle Schieflage der Landkreise durch steigende soziale Transferleistungen. Diese seien der zentrale Treiber der Belastung in den Haushalten. „Zwischen 2023 und 2024 sind die sozialen Ausgaben im Kreis Groß-Gerau um mehr als 28 Millionen Euro gestiegen, während die Schlüsselzuweisungen um 2,6 Millionen Euro zurückgingen“, so der Landrat.
Die Folge: Höhere Umlagen für Städte und Gemeinden im Kreis und damit steigende Grundsteuern für Bürgerinnen und Bürger. Besonders stark betroffen seien laut Will Kommunen wie Rüsselsheim, Mörfelden-Walldorf und Gernsheim, deren Sozialausgaben sich in den vergangenen Jahren teils verdoppelt hätten.
Belastung durch Sozial- und Pflegekosten
Besonders im Bereich der Hilfen zur Schulbegleitung und der Pflegekosten sieht Will akuten Reformbedarf. So habe sich die Zahl der Schulbegleitungen nach § 35a SGB VIII im Kreis von 287 Fällen (2020) auf 419 Fälle (2024) erhöht, bei Kostensteigerungen von 3,8 auf 9,1 Millionen Euro. Auch im Bereich Pflege würden die Landkreise zunehmend finanziell überfordert: „In Pflegegrad 4 liegen die monatlichen Gesamtkosten bei rund 5.700 Euro, die Leistung der Pflegekasse aber nur bei 1.855 Euro. Die Differenz tragen Betroffene, Familien und letztlich die Landkreise“, schreibt Will.
Sieben konkrete Reformvorschläge
Zur Entlastung der Kommunen schlägt der Landrat sieben Maßnahmen vor, darunter:
- die Einführung einer Pflegevollversicherung,
- eine gesetzlich verankerte Konnexität auch für Bundesgesetze,
- eine Neuordnung der Steuerverteilung mit höherem kommunalen Umsatzsteueranteil,
- eine verbindliche Ressourcenfolgenabschätzung bei neuen Gesetzen
und eine strukturelle Reform der sozialen Transferfinanzierung.
Appell an Bund und Länder
In deutlichen Worten warnt Will vor einer „Erosion der kommunalen Selbstverwaltung“, falls Bund und Länder die Kommunen weiter finanziell überforderten. „Wenn Kommunen ihre Aufgaben nicht mehr stemmen können, ist das kein Verwaltungsproblem, sondern ein politischer Skandal“, heißt es in dem Schreiben.
Will appelliert an die Bundesregierung, die Kommunen „nicht mit neuen Aufgaben, sondern mit fairer Finanzierung“ zu stärken:
„Es geht um nicht weniger als das Fundament der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland.“
Der Brief spiegelt die Position des Landrats Thomas Will (SPD) wider.
(GROSS-GERAU – RED/PSGG)