Wenn selbst die Kirchenglocken schweigen
Von W. Christian Schmitt

Zwischen 1950 und 1975 gab es die legendäre Veranstaltungs-Reihe „Darmstädter Gespräche“. Dabei ging es, verkürzt gesagt, darum, in öffentlichen Diskussionen kulturinteressierten Bürgern über den Tag hinaus relevante Themen wie Probleme näher zu bringen. Darum soll es auch bei den „Darmstädter Tischgesprächen“ gehen, bei denen jene zu Wort kommen, die an unterschiedlichen Stellen ihren Beitrag für Erhalt wie Weiterentwicklung unserer Gesellschaft leisten. Diesmal ist der Journalist und Publizist W. Christian Schmitt zusammen mit Kameramann Werner Wabnitz zu Gast bei Julian Söller, Kulturmanager der Darmstädter Stadtkirchen-Gemeinde.
Würde Martin Luther, der Bibel-Übersetzer, heute leben, wäre er sicher längst Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung – und ein (weiteres) Beispiel dafür, wie eng Kirche und Kultur verzahnt sind. Und genau darum ging es eingangs bei unserem Tischgespräch in Darmstadts ältester Kirche der Innenstadt: Was verbindet Kirche mit Kunst und Kultur? Über Jahrhunderte vieles. Man denke nur daran, wieviele Kunstwerke etwa in (katholischen) Kirchen erhalten geblieben sind. Bilder, Skulpturen etc., die einst Bischöfe, Kardinäle oder gar Päpste in Auftrag gaben bzw. neben Fürsten und Königen die Hauptabnehmer waren.
Aber nicht nur darüber sprachen wir mit Julian Söller, der uns zuallererst das Innenleben der Stadtkirche zeigen und erklären wollte: den Altar, die Wandtäfelung dahinter, aber auch jene Bodenklappe, die – nach Öffnung – den Weg hinab zur Gruft ermöglicht. Aber das wäre etwas für einen späteren Besuch. Doch dann: In einer Kirche, in der ansonsten die Pfarrer das Sagen und Predigen haben, erzählt uns der Kulturmanager, der eigentlich Umwelt-Ingenieur ist, wie er quasi als Seiteneinsteiger zu diesem Job kam und was alles zu seinem Arbeitsbereich zählt. Es fing während der Studienzeit an. Dort, unterm AStA-Dach (wo er Referent für Soziales und Wohnen war) hatte er erstmals Kontakt „mit jenen, die Veranstaltungen“ arrangieren, auch Demos und Lesungen. Dann hat er „mit Freunden in Darmstadt ein Künstler-Kollektiv gegründet“ – doch die erzählte „längere Geschichte“ würde hier den Rahmen sprengen. Und irgendwann kam der Kontakt zur Stadtkirche zustande und zu Kultur-Pfarrer Karsten Gollnow. Dieser war lange Jahre Ansprechperson, wenn von Kirche und Kultur die Rede war, von Autorenlesungen, Konzerten, Ausstellungen, Jazz-Sessions und dergleichen mehr. Dafür hatte die Kirche ihm eine halbe Stelle genehmigt. Die nimmt seit Anfang 2024 nun Julian Söller in Anspruch. Kirche, erläutert er, „war früher ein Ort der Gemeinschaft“. Und genau da setzt er mit seinem Engagement zur Förderung eines „gemeinsamen Erlebens“ an. Dazu will (auch) er „ein gesellschaftliches Angebot schaffen, das möglichst viele Bereiche abdeckt“.
Wir sprechen über Kulturförderung, über zu zahlende Honorare für auftretende Künstler, über Abstimmungen mit städtischen sowie weiteren Kulturanbietern in dieser Stadt – und natürlich darüber, wie er sich in Darmstadts Kulturbetrieb eingelebt hat. „Gleich zu Beginn“, erzählt er, sei er zum „Künstler-Schoppen“ in die Bessunger Knabenschule eingeladen worden. Später folgten dann Kontakte mit dem „Kultur-Forum“ der SPD, und auch die Grünen hätten sich gesprächsbereit gezeigt. Und wie war das mit der CDU? „Da kam niemand auf mich zu“, merkt er an.
Welche Handlungs-Freiräume haben Sie? frage ich. Mit wem alles müssen Sie sich abstimmen bei der Entwicklung eines eigenen Kulturprogramms? „Völlig freie Hand“, habe man nie. Aber er habe „das Vertrauen, dass meine Veranstaltungen respektvoll mit dem Ort, also der Stadtkirchen-Gemeinde, umgehen“. Wobei – die derzeitigen Vorzeige-Politiker führen es vor – das mit dem „Respektvollen“ sehr unterschiedlich definiert werden kann. „Ich bin beim Dekanat Darmstadt angestellt“, ergänzt er, „arbeite aber in der Stadtkirchen-Gemeinde, habe Kontakt zum Kirchenvorstand und zu Pfarrer Gollnow sowie zu Annette Laakmann, Präses des Dekanats“. Und wie sieht seine Zwischenbilanz aus? „Überwiegend positiv. Ich fühle mich in dieser Kulturstadt pudelwohl“.
Als wir ihn dann noch nach seinen Hobbys fragen, erzählt er, der sich auch einmal als Schlagzeuger versuchte, folgendes: „Ich bin ein sehr leidenschaftlicher Museumsgänger und interessiere mich besonders für Design, Gestaltung und Architektur“.
Bevor wir uns dann verabschieden, komme ich noch auf ein Angebot zurück, das uns Julian Söller vor der Video-Aufzeichnung unseres Tischgesprächs gemacht hatte: „Wenn es stören sollte, daß zwischendrin die Kirchenglocken anfangen zu läuten, kann ich diese auch abstellen“. Doch das war nicht nötig. Denn unser Dialog endete rechtzeitigt, also kurz bevor sich die Glocken meldeten.
Zur Person
Julian Söller, Jahrgang 1995; Kulturmanager der Stadtkirchengemeinde; von 2020 bis 2024 Hochschule Darmstadt (Master of Engeneering); 1. Vorstands-Vorsitzender des Kulturvereins prima (2023/24).
Nächste Gesprächspartnerin ist Judith Kautz, Inhaberin des Bessunger Buchladens.